Das Herz der Welt
Eines Tages, da hörte das Herz der Welt auf zu Schlagen und
mit ihm verstummten alle Vögel, der Wind legte sich und das Wasser hörte auf zu
rauschen und zu fließen. Die Tiere blieben wie erstarrt stehen oder regten sich
kaum noch.
Ein Fuchs saß mitten auf der Wiese wie ein erstarrter
Steinbrocken.
Doch eine Gattung auf der Erde hatte es vollkommen
ignoriert.
Ihr ahnt es schon: die Erwachsenen Menschensöhne und -töchter.
Sie rasten weiter in ihren Blechkisten vorbei, vom Himmel
dröhnten die Düsenjets mit ihren Chemiespritzen vom Himmel.
Sie schoßen an vielen Orten der Welt weiter ihre Bomben und
schickten ihre Todesdrohnen aus.
Ihr werdet Euch fragen, das kann nicht gut gehen.
Ohne das Herz der Welt.
Plötzlich sah ich ein kleines Kind, das hatte im Spiel im
Sand just in diesem Moment sein Schäufelchen fallen lassen und blickte wie
erstarrt
in die Ferne.
Es fühlte etwas ganz Schlimmes ist soeben geschehen und sein
Herzchen pochte ganz wild.
Als es so starrte, bemerkte es eine Waldohreule in der Nähe
auf einem Baum sitzend. Die blickte stumm zu ihm herüber.
Was kann ich nur tun? Nun bewegte es seinen Kopf und bemerkte
diese eigenartige Stille. Als wenn dieses lebendige Pulsieren und Strömen des
Lebens plötzlich verstummt wäre.
Die Eule schien dem Kind etwas sagen zu wollen.
Geh zum uralten Weltenberg am Rande des Horizonts.
Uralter Weltenberg? Rande des Horizonts?
Ich kleiner Zwerg? So eine weite Reise? Das Kind suchte, wo
ein Hügel war, und ob es von dort diesen Weltenberg erblicken könnte.
Und tatsächlich als es oben auf dem Hügel war, erblickte es winzig
klein einen tiefschwarzen Berg, und was geschah gerade?
Mitten am Tag fing an die Sonne vom Himmel zu fallen und
fiel direkt in die Spitze des Weltenberges am Ende des Horizonts.
Was sie noch niemals zuvor getan hatte.
Zu dem Kind gesellte sich nun ein Fuchs, der voller Angst als
einzige Bewegung die des Kindes wahrgenommen hatte und dachte, dieses Kind kann
mir helfen zu begreifen, was geschehen ist.
Fuchs sprach zum Kind: Was ist geschehen, das alle verstummt
sind und kein Vogel mehr trällert?
Hm, ich weiß es auch nicht. Die Waldohreule sagt, ich soll
zum Weltenberg gehen.
Ja, sagte der Fuchs, sie ist die weiseste hier im Wald.
Das Kind schnürte einen Beutel mit einem Stück Brot, Apfel
und Speck und machte sich auf dem Weg.
Es lief den Hang herunter zum Fluss der Hoffnung, dessen
Wasser jetzt nur noch müde sich durch das Tal schlängelte, als wenn auch alles
Wasser wiche.
Das Kind trank und wusch sich und überlegte wie es auf die
andere Seite käme. Da war ein riesen Baumstamm,der herantrieb und da das Wasser
ja nicht mehr schnell floß, konnte es diesen erreichen und sprang auf.
Es trieb ein Stück entlang des Flusses und da sah es ein verängstigtes
kleines Rotkehlchen am Ende des Stamms und nahm es vorne unter sein Kleid zum
wärmen. Nach einer Weile verkeilte sich der Stamm am anderen Ufer und so konnte
das Kind auf der anderen Seite ans Ufer klettern.
Es musste sich nun beeilen ein Schlaflager zu finden. Da die
Sonne ja schon untergegangen war, wurde es jetzt sehr schnell dunkel.
Auf einer Anhöhe war ein Baum mit einer Dachshöhle zu sehen.
Dort konnte es ruhen.
Das Rotkehlchen hatte sich etwas beruhigt und nun packte das
Kind seinen Beutel aus und gab ihm ein paar Brotkrümel. Es machte sich Gedanken
über alles, was es schon erlebt hatte in
seinem Leben, warum der Bauer diese schweren Geräte gekauft hatte, die einen
Höllenlärm machten, und alle Vögel verstummten und die Felder immer größer und
stiller wurden und die Frau ihn dann mit den Kindern verließ. Warum man am
Sonntag keine Glocke mehr läuten hörte und es keine lachenden und tanzenden Dorfleute
mehr gab zu den Jahresfesten.
Und das es selbst ja davongelaufen war, von seinem Zuhause,
das keins war. Ich konnte sehen, daß dieses Kind trotz alledem keine Furcht
hatte.
So wie jetzt im Bau des Dachses. Da kam ein müder Regenwurm
vorbeigekrochen und hatte vielleicht den Apfel gerochen. Regenwurm weißt du was
geschehen ist, wird das Leben jetzt ganz verstummen?
Aber nun ja ein Wurm, der spricht nicht. Er kringelte sich ein
und das Kind beobachtete es einfach. Eine kleine Spirale. Es hatte mal eine
Luftschlange, die wirbelte auch in Spiralen in der Luft.
So legte es sich auf die Seite und nahm das Rotkehlchen ganz
nah zu sich, um es weiter zu wärmen.
Am nächsten Morgen war es grau und feucht. Es zeigte sich kein
Sonnenstrahl. Es bündelte seinen Beutel, nahm das Vögelchen auf die Schulter ,
Fuchs lief an seiner Seite und ging weiter Richtung Weltenberg, den man mächtig
von Weitem aus der Ebene, empor wachsen sah. Es kam ihm vor als wäre er über
Nacht weiter angewachsen, nachdem er ja die Sonne verschlungen hatte.
Je weiter es ging, desto stiller und toter wurde es um ihn
herum.
Rings herum waren diese riesen Felder der Monokulturen, wo
nur noch Futter für die eingesperrten Masttiere angebaut wurde.
Plötzlich winkte etwas, das sah wie ein Mensch aus. Das Kind
lief über den brachen Acker dort hin.
Oh, ja nun. Es war eine Vogelscheuche. Das es sowas noch
gab.
Plötzlich fing sie zu reden an: Hey Du. Ich langweile mich
zu Tode. Es gibt nichts mehr zu tun für mich. Die Vögel fliegen nicht mehr und
die Menschen gibt’s anscheinend nicht mehr. Da fahren nur noch so riesige
Monstermaschinen über den Acker. Ich bin die einzig übrig gebliebene Vogelscheiche
aus rauhen Vorzeiten.
Nimmst du mich mit? Wenn du mich aus dem Boden ziehst, kann
nicht vielleicht wieder laufen.
Gesagt, getan. Mit vereinten Kräften zusammen mit dem Fuchs zogen
sie die Vogelscheuche am Besenstil heraus. Wie benommen schüttelte sie sich und
stand dann sie tauf zwei Beinen. Noch etwas taumelnd schritt sie vorwärts. Es
quietschte etwas im Gebälk. Aber Vogelscheuche hatte wieder eine Aufgabe. Sie
war schon immer eine Weltenwanderin mit ihrem bunten Flickzeugstoffen aus aller
Welt. So ging es nun zu viert weiter. Sie erzählten sich des Wegs ihre
Lebensgeschichten, die so ungewöhnlich waren wie dieses Viererkomplott.
Die Zeit war nicht mehr zählbar, denn das Sonnengestirn
wanderte ja nicht mehr. Zeit der Nichtzeit. Hier wo die Träume frei schweben
und das Kann dem Muss weicht.
Jetzt kamen sie langsam dem Weltenberg nah und hier war eine
Schwere wie Blei.
Jeder Schritt klebte wie ein Zentner Zement. So kamen sie
kaum voran. Sie mussten ins Innere des Bergs. Der einzige der Gefährten, wo nicht so zu kämpfen hatte, war das
Rotkehlchen. Es meinte, kommt wir singen. Singen vertreibt die Schwere.
Das alte Wanderlied : im Frühtau zu Berge wir gehen fallerá.
Es blühen die Wiesen, die Felder so nah.
Und was soll ich Euch sagen: in der Nichtzeit im Traumland
werden unsere Worte wahr.
Tatsächlich fing es an zu blühen auf dem Pfad den sie gingen
und die Schwere unter ihnen wich.
Nun kamen sie bald an den GipfelRand des Weltenberges.
Es dampfte und glühte und zischte, so dass ihnen
fast Ohren und Augen davonflogen.
Wie sollen wir da nur hinunter?
Nun die Vogelscheuche hatte tatsächlich ein sehr langes Seil
um den Bauch geschlungen, damit sie ihr Jackett nicht verlor.
Hier ich hab ein Seil.
An dem kantigen Fels konnten Sie es anbinden.
Fuchs war der mutigste und kletterte voraus, dann das Kind
mit Rotkehlchen vor dem Bauch und zum Schluss die kräftige Vogelscheuche.
Einfach nicht runter schauen. Schritt um Schritt ging es
hinab.
Bis sie irgendwann einen Boden erblickten. Das Seil reichte
nicht. Fuchs ist ein grosser Springer und schaffte es bis zum Boden. Er fing
das Kind. Und Vogelscheuche ist ein Unkaputtbar. Er hat schon sämtliche Stürme
und Gezeiten überlebt.
Hier war es stockfinster.
Wie sollten Sie den Weg finden zum Herz der Welt? Das kleine
Kind dachte nach. Nun wenn wir uns auf unser Herz besinnen und dem lebendigen
Sein in uns folgen, kommen wir zum Herz der Welt.
Und so taten sie es. Ganz ruhig und getragen von ihrem
Herzschlag schritten sie voran.
Da vorne wird es heller. Das sah aus wie eine Höhle. Und plötzlich
hörten sie lautes furchterregendes Fauchen und Gröllen wie von einem wütenden
Drachen.
Und tatsächlich da war er, ein riesiger wutentbrannter
Erdendrachen. Die Glut in seinem Inneren leuchtete durch den dicken schwarzen
Schuppenpanzer.
Kommt nicht näher sonst verglüht ihr alle zu Asche. Was wagt ihr es, mir so
nahe zu kommen?
Das Herz der Welt hörte auf zu Schlagen und wir fürchten um
unser aller Leben, sagte das Kind.
Der Fuchs ergänzte: alle Tiere sind verstummt und wir sahen
die Sonne in den Berg stürzen.
Was ist passiert, das du so erzürnt bist?
Einst kam der reichste Mann der Welt zu mir und bot mir alle
Schätze an, die er hatte, Gold, Juwelen, Diamanten. Er hatte mittlerweile alle
Schatzkammern der Erde ausgeleert in seiner Gier,
ich solle das Herz der Erde gefangen nehmen, damit er die
Macht über Leben und Tod bekäme.
Ich ließ mich geblendet auf den Deal ein. Doch bis heute ist
er nicht aufgetaucht, um mir meinen Lohn zu bringen.
Dieser reiche Kaufmann ist des Teufels Advokat und
beherrscht die dunkle Magie der Verführung, der Verblendung und des Wahnsinns,
der ihn selbst befallen hat.
Nun, wenn die Welt untergeht, wirst auch du untergehen.
Wir können es gemeinsam schaffen die Macht dieses Tyrannen
zu brechen.
So beschlossen sie ihren gemeinsamen Pakt.
Und der Drache befreite das Herz der Welt wieder und in
diesem Moment stieg auch die Sonne zum Himmel empor.
Mit einem Mal wurde die Atemluft wieder freier.
Nun ging es weiter zu fünft. Wie konnte man so viel Böses
bezwingen?
Und wie könnte man diesen Tyrannen finden?
Er wusste bereits, daß das Herz der Welt wieder frei war, da
die Sonne schon wieder schien und alles belebte.
Nun sie konnten jetzt, dank dem Drachen, alle miteinander
fliegen, in Lichtgeschwindigkeit.
Wieder gingen sie in die Stille in ihr Herz. Dort sahen sie
den Tyrannen als Baby als die Mutter ein Wiegenlied sang, bevor sie ihn verließ,
und allein dies vermochte sein Herz zu erwärmen.
So flogen sie dorthin,wo es am dunkelsten und kältesten war
auf dieser Erde. Und fingen an alle gemeinsam das Wiegenlied der Mutter zu
singen und mit jedem Ton verwandelte sich der Magier zurück in ein Neugeborenes.
Dort am Fuße eines Baumes fanden sie es. Und hier nahmen sie
es mit zu einer Amme, der sie das Lied beibrachten, damit es die Wärme der
Mutter in sich aufsaugen konnte wie die Muttermilch.
Mit jedem Tag Liebe, die das Kind bekam, sproß ein weiterer Zweig
Grün an seinem Lebensbaume.
Der Drache ging zurück in seinen Weltenberg um als Hüter der
Erde seinen Platz wieder einzunehmen.
Die vier Freunde entschlossen sich gemeinsam an einem Ort zu
bleiben und für alle, die es brauchten, ihre Herzenslieder zu finden und zu singen.
Eideen, 26.1.24