Montag, 29. Juni 2015

Ein Märchen---Die Geschwister Schwareiss von 1993

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Taijitu_polarity.PNG?uselang=de
Die Geschwister Schwareiss

Es war einmal ein Zwillingspaar, dass so verschieden war, dass die Menschen dachten: „Sie können nie und nimmer Zwillinge sein.“ Das Mädchen hieß Schwarz wie die Nacht und der Bub Weiß wie das Licht. Sie verstanden sich gut, obwohl sie so verschieden waren, wie man es sich verschiedener nicht denken konnte.
Aber die Menschen verstanden das nicht, wie sie miteinander spielen konnten sich liebkosten und ihre Freude an ihrer Verschiedenheit hatten.
Eines Tages, als die Kinder schon nahe dem Erwachsensein waren, merkten sie, daß die Leute mit ihrem Anderssein Schwierigkeiten hatten und sagten zu einander:
"Lieb´Schwesterlein, die Menschen verstehen nicht, daß wir zusammengehören, laß uns zu eins werden, damit sie es begreifen!"

Und sie stellten sich gegenüber auf, hoben die Hände, schauten sich in die Augen und als ihre Handflächen sich berührten,verschmolzen zu einem Wesen. Das war so schön, dass es von einer anderen Welt zu kommen schien.

Aber die Menschen verstanden immer noch nichts.
Im Gegenteil: Sie waren nun völlig verwirrt, wußten nicht wie sie dieses Wesen nun nennen sollten, so ganz Mann und ganz Frau.

Es brach ein fürchterlicher Krieg aus um die beiden, die nun eins waren, und sehr viele Männer und Frauen starben.

Nachdem sie wahrnahmen, daß sie in ihrer Zahl schon so klein waren, daß sie kaum noch ihre Felder bestellen konnten und nicht mehr genug zu essen hatten, weil sie sich nur um den Krieg gekümmert hatten, überkam eine fürchterliche Traurigkeit und Einsamkeit das Land.
Irgendwann fanden sich einige Menschen zusammen, die beschlossen, wir müssen dieses Wesen vernichten, es hat nur Unglück über unsere Nationen gebracht.
Sie überlegten sich einen Plan. Wir fangen dieses Wesen ein und werfen es ins große Wasser.
Das Wasser wird es verschlingen. Es war nicht leicht das Wesen einzufangen, denn es vereinte in sich die Kraft des Mannes und die Schlauheit der Frau. Schließlich gelang es ihnen doch und sie warfen es ins Wasser.
Aber es passierte etwas völlig Unerwartetes. Der Himmel verdunkelte sich und es brach ein fürchterlicher Sturm über das Land herein, der nahezu alles verwüstete und unter Wasser setzte, was auf der Welt existierte. Wochenlang regnete es ununterbrochen und kein einziger Lichstrahl lockte hinter einer Wolke hervor. Doch plötzlich, als das
Donnern und Tosen verstummte, kündigte ein kleiner Lichtstrahl am Horizont neue Hoffnung an. Und das Licht brach sich mit den Wolken und ein niemals gesehener riesiger, in unendlichen Farben leuchtender Bogen spannte sich über den Himmel.
Aber die Menschen hatten immer noch nicht verstanden und sie nahmen es wieder aus dem Wasser und warfen es in ein großes Feuer, damit es auf ewig verbrenne.
Aber auch diesmal passierte etwas völlig Anderes. Die Sonne fing an immer heller zu glühen und die Hitze stieg ins Unermeßliche. Binnen kürzester Zeit verdorrte das ganze Land und kein Halm war mehr grün, alles war in gleißendes Licht getaucht, alle Farben verblaßten.
Doch das Wesen, das einst Schwester Schwarz und Bruder Weiß hieß, hatte Mitleid mit den Menschen und es kam eine große Wolke über das Land, die kühlenden Schatten spendete, so daß es langsam wieder erträglicher wurde.
Aber auch dies war nicht genug.

Nun nahmen sie es und stiegen auf den höchsten Berg auf Erden und warfen es hinunter. Die Luft würde sie in tausend Stücke zerreißen und sie würden zerbersten.
Aber nein, es geschah etwas anderes. Es brach ein unglaublicher Wirbelsturm über das Land, der keinen Stein mehr auf den anderen ließ und alles herausriß und weit übers Land verstreute.
Niemand fand mehr seine Mutter oder sein Kind und es war nichts mehr heil geblieben.
Doch auch der Sturm legte sich, bevor die letzten Menschen aus lauter Verzweiflung starben.

Der letzte Versuch, den sie unternahmen, war nun, es zu begraben. Es sollte unter die schwarze Erde, um es ein für alle mal zu vergessen.
Aber nun geschah etwas Wunderbares. Aus der vom vielen Regen befeuchteten Erde wuchs ein riesiger weit bis an den Himmel reichender Baum in die Höhe,
dessen Wurzeln das Herz der Erde erreichten
und das Grün, dass er trug war von einer Leuchtkraft, die alle Menschen, die ihn sahen, in ihrem Herzen berührte und ihnen Kraft gab,
Hoffnung und Vertrauen in ihrem Leben zuzulassen.

Der Baum trug alle vier Wochen Früchte, die so zahlreich waren, daß alle davon satt wurden. Und in manchen Gegenden erzählt man sich noch heute, daß dieser Baum irgendwo existiert.
Einige weise Frauen und Männer behaupten, sie hätten ihn gesehen und sahen in ihm Bruder Weiß und Schwester Schwarz in enger Umarmung, denn sie wissen, was das Glück dieser Erde ist.

Die Menschen, die heute noch weit in die Vergangenheit blicken können, tragen in ihrem Herzen ein Lied, worin das Zwillingspaar den Namen Schwareiss bekommen hat.

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