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Die Geschwister Schwareiss
Es
war einmal ein Zwillingspaar, dass so verschieden war, dass die
Menschen dachten: „Sie können nie und nimmer Zwillinge sein.“ Das
Mädchen hieß Schwarz wie die Nacht und der Bub Weiß wie das Licht. Sie
verstanden sich gut, obwohl sie so verschieden waren, wie man es sich
verschiedener nicht denken konnte.
Aber
die Menschen verstanden das nicht, wie sie miteinander spielen konnten
sich liebkosten und ihre Freude an ihrer Verschiedenheit hatten.
Eines
Tages, als die Kinder schon nahe dem Erwachsensein waren, merkten sie,
daß die Leute mit ihrem Anderssein Schwierigkeiten hatten und sagten zu
einander:
"Lieb´Schwesterlein, die Menschen verstehen nicht, daß wir zusammengehören, laß uns zu eins werden, damit sie es begreifen!"
Und
sie stellten sich gegenüber auf, hoben die Hände, schauten sich in die
Augen und als ihre Handflächen sich berührten,verschmolzen zu einem
Wesen. Das war so schön, dass es von einer anderen Welt zu kommen
schien.
Aber die Menschen verstanden immer noch nichts.
Im Gegenteil: Sie waren nun völlig verwirrt, wußten nicht wie sie dieses Wesen nun nennen sollten, so ganz Mann und ganz Frau.
Es brach ein fürchterlicher Krieg aus um die beiden, die nun eins waren, und sehr viele Männer und Frauen starben.
Nachdem
sie wahrnahmen, daß sie in ihrer Zahl schon so klein waren, daß sie kaum
noch ihre Felder bestellen konnten und nicht mehr genug zu essen hatten,
weil sie sich nur um den Krieg gekümmert hatten, überkam eine
fürchterliche Traurigkeit und Einsamkeit das Land.
Irgendwann
fanden sich einige Menschen zusammen, die beschlossen, wir müssen
dieses Wesen vernichten, es hat nur Unglück über unsere Nationen
gebracht.
Sie überlegten sich einen Plan. Wir fangen dieses Wesen ein und werfen es ins große Wasser.
Das Wasser wird es verschlingen. Es war nicht leicht das Wesen einzufangen, denn es vereinte in sich die Kraft des Mannes und die Schlauheit der Frau. Schließlich gelang es ihnen doch und sie warfen es ins Wasser.
Aber
es passierte etwas völlig Unerwartetes. Der Himmel verdunkelte sich und
es brach ein fürchterlicher Sturm über das Land herein, der nahezu
alles verwüstete und unter Wasser setzte, was auf der Welt existierte.
Wochenlang regnete es ununterbrochen und kein einziger Lichstrahl
lockte hinter einer Wolke hervor. Doch plötzlich, als das
Donnern
und Tosen verstummte, kündigte ein kleiner Lichtstrahl am Horizont neue
Hoffnung an. Und das Licht brach sich mit den Wolken und ein niemals
gesehener riesiger, in unendlichen Farben leuchtender Bogen spannte sich
über den Himmel.
Aber die Menschen
hatten immer noch nicht verstanden und sie nahmen es wieder aus dem
Wasser und warfen es in ein großes Feuer, damit es auf ewig verbrenne.
Aber
auch diesmal passierte etwas völlig Anderes. Die Sonne fing an immer
heller zu glühen und die Hitze stieg ins Unermeßliche. Binnen kürzester
Zeit verdorrte das ganze Land und kein Halm war mehr grün, alles war in
gleißendes Licht getaucht, alle Farben verblaßten.
Doch
das Wesen, das einst Schwester Schwarz und Bruder Weiß hieß, hatte
Mitleid mit den Menschen und es kam eine große Wolke über das Land, die
kühlenden Schatten spendete, so daß es langsam wieder erträglicher
wurde.
Aber auch dies war nicht genug.
Nun
nahmen sie es und stiegen auf den höchsten Berg auf Erden und warfen es
hinunter. Die Luft würde sie in tausend Stücke zerreißen und sie würden
zerbersten.
Aber nein, es geschah etwas
anderes. Es brach ein unglaublicher Wirbelsturm über das Land, der
keinen Stein mehr auf den anderen ließ und alles herausriß und weit
übers Land verstreute.
Niemand fand mehr seine Mutter oder sein Kind und es war nichts mehr heil geblieben.
Doch auch der Sturm legte sich, bevor die letzten Menschen aus lauter Verzweiflung starben.
Der
letzte Versuch, den sie unternahmen, war nun, es zu begraben. Es sollte
unter die schwarze Erde, um es ein für alle mal zu vergessen.
Aber
nun geschah etwas Wunderbares. Aus der vom vielen Regen befeuchteten
Erde wuchs ein riesiger weit bis an den Himmel reichender Baum in die
Höhe,
dessen Wurzeln das Herz der Erde erreichten
und
das Grün, dass er trug war von einer Leuchtkraft, die alle Menschen,
die ihn sahen, in ihrem Herzen berührte und ihnen Kraft gab,
Hoffnung und Vertrauen in ihrem Leben zuzulassen.
Der
Baum trug alle vier Wochen Früchte, die so zahlreich waren, daß alle
davon satt wurden. Und in manchen Gegenden erzählt man sich noch heute,
daß dieser Baum irgendwo existiert.
Einige weise
Frauen und Männer behaupten, sie hätten ihn gesehen und sahen in ihm
Bruder Weiß und Schwester Schwarz in enger Umarmung, denn sie wissen, was das Glück dieser Erde ist.
Die
Menschen, die heute noch weit in die Vergangenheit blicken können,
tragen in ihrem Herzen ein Lied, worin das Zwillingspaar den Namen
Schwareiss bekommen hat.